Kemptener Tafelläden sind am Limit
Massiver Kundenzulauf ist kaum zu bewältigen - Neuregelungen für ukrainische Geflüchtete
Die Tafelläden des BRK Oberallgäu in Kempten sind am Limit. Der Kundenandrang ist in den vergangenen Wochen und Monaten enorm gestiegen. Die Warenspenden decken den Bedarf nur noch knapp. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind massiv überlastet. „Viele von ihnen überlegen mittlerweile, ihr Amt niederzulegen. Das wäre eine Katastrophe“, befürchtet Markus Wille, Tafelkoordinator beim BRK. Um den Druck zu mindern, werden nun neue Regelungen eingeführt.
„Unsere Tafelläden verzeichnen zurzeit eine Nachfrage, wie wir sie noch nie erlebt haben“, berichtet Markus Wille, langjähriger Koordinator der Tafelläden des Roten Kreuzes in Kempten. „Zum einen spitzt sich die wirtschaftliche Situation vieler Kemptener Bürgerinnen und Bürger angesichts der extrem steigenden Lebensmittel- und Energiepreise zu, was dazu führt, dass bei vielen das Geld einfach nicht mehr für die normalen Alltagsbedürfnisse ausreicht. Zum anderen erleben wir einen enormen Zulauf durch geflüchtete Menschen aus der Ukraine.“
Dieser immense Anstieg an Kundschaft führe in mehrfacher Hinsicht zu Problemen. Markus Wille schildert diese: „Sehr besorgniserregend ist für uns die Tatsache, dass die Ehrenamtlichen, die zum Teil seit vielen Jahren mit großem Engagement in den Tafelläden mithelfen, körperlich und nervlich am Ende sind. Das liegt in erster Linie an der Masse der zu versorgenden Menschen und dem dadurch entstehenden Aufwand bei der Lebensmittelausgabe.“ Leider werde aber auch der Ton bei den Kunden in letzter Zeit rauer. „Das ist einerseits verständlich, denn wenn Geld und wichtige Lebensmittel knapp werden, können auch mal die Ellenbogen ausgefahren werden, aber andererseits darf das nicht auf Kosten unserer Helferinnen und Helfer gehen, die sich hier in ihrer Freizeit für die Menschen einsetzen. Wir geben alle an sechs Tagen pro Woche unser Bestes.“ Jetzt gelte es, die hoch geschätzten Mitarbeitenden vor einer Überlastung schützen. „Ohne sie wäre unsere Arbeit überhaupt nicht möglich.“
Ein großes Problem stelle auch das aktuelle Missverhältnis zwischen Warennachfrage und Warenangebot dar, so Wille weiter. „Die Tafel Kempten unterhält seit zehn Jahren ein sehr gutes Netzwerk zu Discountern, Speditionen, Service-Clubs und der Lebensmittelindustrie. Von ihnen allen bekommen wir Spenden und Warenspenden. Dadurch war uns die Versorgung von bis zu 700 Menschen pro Tag möglich. Aber nun stoßen wir an unsere Grenzen. Selbst diese guten Verbindungen reichen aktuell nicht mehr aus. Wir müssen an vielen Tagen die Lebensmittel pro Haushalt stark rationieren, damit niemand mit leeren Händen weggeschickt werden muss.“ Das Prinzip der Kemptener Tafelläden sei, dass jede Kundin und jeder Kunde bis zu 5 Minuten Zeit haben soll, sich selbst die Lebensmittel auszusuchen, die er oder sie haben möchte, betont er. „Von diesem menschenwürdigen Prinzip möchten wir auch nicht abweichen. Es wäre unseren vielen Tafel-Altkunden gegenüber unfair dies abzuändern, nur weil jetzt ein zu großer Andrang herrscht. Aber momentan geht es leider nicht anders.“
Wichtig ist ihm, deutlich zu machen, dass die Tafeln kein Grundversorger sind. „Das heißt, wir sind keine staatliche Organisation, die einen öffentlichen Auftrag für die Versorgung aller Menschen mit Lebensmitteln hat. Vielmehr kommen wir beim Roten Kreuz dieser Aufgabe aufgrund unseres humanitären Selbstverständnisses nach. Wer über genügend finanzielle Mittel verfügt, um sich selbst zu versorgen, ist bei uns nicht an der richtigen Adresse.“
Neuregelungen für Menschen aus der Ukraine
Angesichts der angespannten Lage werden in den Tafelläden des BRK nun neue Regelungen eingeführt. Sie sollen sicherstellen, dass die Versorgung aller bedürftigen Kundinnen und Kunden gewährleistet bleibt und auf eine für alle Beteiligten möglichst angenehme und reibungslose Weise abläuft.
Um der großen Kundengruppe der geflüchteten Menschen aus der Ukraine gerecht werden zu können, greift bei ihnen künftig ein anderes Prinzip. Sie werden gebeten, ab Dienstag, 16. August nicht mehr direkt zu den beiden Ausgabestellen der BRK Tafel in der Memmingerstraße 114 und der Magnusstraße 16 zu kommen (die Caritas-Ausgabestelle in der Landwehrstraße 11 bleibt davon unberührt). „Stattdessen erhalten sie gegen Vorlage ihres Tafel-Ausweises immer freitags von 15 bis 17 Uhr in unserer Wärmestube in der Haubenschloßstrasse 12 jeweils ein Lebensmittelpaket mit frischen und haltbaren Produkten direkt aus unserem Tafel-Lager. Darin sind Obst, Gemüse, Backwaren, Molkereiprodukte sowie Getränke und Konserven enthalten.“ Der Inhalt richte sich jeweils nach der Menge der verfügbaren Waren. „Von Sonderaktionen wie Kinderhygienepaketen oder Gutscheinaktionen für Schulartikel oder Sportartikel, die durch Spendenaktionen möglich sind, profitieren die geflüchteten Familien selbstverständlich auch.“
Ein Vorteil des neuen Vorgehens sei zum einen eine deutliche Entzerrung des Kundenstromes, der zuletzt zu langen Wartezeiten vor den Ausgabestellen geführt hatte. „Für unsere größtenteils ältere langjährige Kundschaft war dies kaum zu bewältigen.“ Zum anderen schaffe man auf diese Weise wieder Erleichterung für die Ehrenamtlichen, die selbst teils bereits im Rentenalter seien. „Wenn wir jetzt nicht etwas an der Situation ändern, brechen uns unsere wertvollen ehrenamtlichen Helfer weg und wir können gar keine Versorgung mehr gewährleisten. Das wäre verheerend, gerade vor dem Hintergrund, dass voraussichtlich bis zum Jahresende noch sehr sehr viele Kemptenerinnen und Kemptener unsere Hilfe brauchen werden, nämlich dann, wenn die ersten Nachzahlungen von Strom und Gas kommen und die Menschen realisieren, wie teuer Lebensmittel und das ganze Leben an sich geworden ist. Dazu darf es nicht kommen! Wir möchten weiterhin gemäß unseres Rotkreuz-Auftrages für die Menschen in Not da sein.“